Beziehungsangelegenheiten
IDAN MEIR, Di. 15.3.2022
Übersetzung Michael Reiterer
Wie du in all deinen Beziehungen deine Augen frisch und dein Herz offenhalten kannst
Ich lernte meine Frau vor sieben Jahren in Dublin auf der Tanzfläche kennen. Es war bei einem Wochenend-Tanzworkshop namens Wild Prayer mit meiner Lehrerin für Conscious Dance Cathy Ryan. Zu diesem Zeitpunkt war ich nach einer dreijährigen, nicht erfolgreichen Beziehung erst einige Monate Single. Ich war noch dabei, mich zu erholen, und lernte, zu mir selbst zurückzufinden. Ich wusste nicht, was wenige Minuten nach Beginn des Workshops passieren würde.
Als ich die Tanzfläche betrat, suchten meine Augen den ganzen Raum ab, einige Leute kannte ich, einige waren mir fremd, aber ich suchte vor allem nach denen, die attraktiv für mich schienen. Während ich tanzte, war ich also im Grunde völlig unbewusst, mein Kopf übernahm die Kontrolle, aber zum Glück hielt dieser Zustand nicht lange an.
Als ich merkte, was ich tat, oder was mein kleiner Verstand tat, sagte ich mir: „Bist du hier für deine Tanzpraxis oder um eine neue Beziehung zu suchen?“. Die Antwort war der Tanz. Mein Muster zu erkennen und es zu benennen, half mir, meinen Kopf loszulassen und in meinen Körper zurückzutauchen, dann spürte ich einen sanften Sog, der mich aufforderte, tiefer nach innen zu gehen.
Einige Minuten später bemerkte ich die Anwesenheit einer Tänzerin neben mir. Als ich die Augen öffnete, sah ich ein schönes Paar Füße in meiner Nähe tanzen. Der Sog nach innen verwandelte sich in einen Sog nach außen. Und kurz nachdem ich mit diesen Füßen getanzt hatte, blickte ich auf und sah die für mich allerschönste Seele mit mir tanzen. Sieben Jahre danach, mit drei Kindern und vielen schönen und auch vielen schwierigen Momenten, bin ich immer noch sehr dankbar für diesen magischen Moment auf der Tanzfläche.
Die Augen als Verbindungstor.
Ich teile mit dir diesen Moment, wo ich meine Frau kennen lernte, nicht nur aus Freude an seinem romantischen Zauber. Ich bin mir sicher, dass jedes Paar einen besonderen Moment erlebt, wenn es sich zum ersten Mal sieht. Ich möchte mich heute auf die Augen als Verbindungstor zu unserem tieferen Selbst und zu anderen konzentrieren.
Unsere Augen, durch die wir die Welt sehen, filtern, wie wir das Leben erleben. Was wir mit unseren Augen sehen, wird zunächst in Signale übersetzt, die das Gehirn in Farben, Formen und Texturen umsetzt. Dann beginnt der Verstand mit dem analytischen Prozess des Benennens und Markierens, und schließlich kommt das Beurteilen. Der begriffliche Verstand teilt das Sichtbare ein - im Sinne von schön und hässlich, gut, schlecht, mag ich, mag ich nicht, interessiert mich oder nicht, und andere anspruchsvollere Kommentare, die später kommen, wenn das Ego gut entwickelt ist.
Das war nicht die ganze Zeit so.
Wenn ich meinen eineinhalbjährigen Zwillingen eine Blume, einen Baum, einen Stein oder etwas anderes Neues zeige, lasse ich sie diese Dinge so viel wie möglich erleben, bevor ich ihnen sage, wie wir es benennen. Benennen und Markieren zerstören den Spirit, das Geheimnis des Lebens.
Bei uns Erwachsenen schaltet sich der egoistische Verstand so schnell ein, dass wir diesen magischen Moment des einfachen Sich- Beeindrucken-Lassens verpassen. Wir wissen alles so schnell, dass kein Platz für ein unbeschwertes Schauen bleibt. Wenn wir etwas Neues, Unbekanntes mit frischen Augen und einem naiven Blick erleben, bevor der Verstand mit Geschichten hereinplatzt, öffnen wir einen Raum für die Magie des Lebens. In dieser Lücke oder diesem Riss wohnt die Liebe.
Wir treffen uns immer auf einer Seelenebene.
Ich erinnere mich, dass meine Frau mich jedes Mal, wenn Herausforderungen auftauchen, daran erinnert, dass wir uns auf der Seelenebene, auf der Tanzfläche, begegneten und dass wir immer wieder dorthin zurückkehren sollten, wenn wir von „Dingen“ überwältigt sind. Es stimmt, wenn wir tanzen, und sei es nur für ein paar Minuten in unserer Küche, kommt unsere Einzigartigkeit eher zum Vorschein, und wir verbinden uns wieder. Ich glaube, dass sich alle Menschen auf einer Seelenebene begegnen. Der einzige Unterschied ist, dass unser Verstand ruhiger ist, wenn wir tanzen oder wenn wir uns einfach unserer tieferen Dimension bewusst sind, wo die Seele einen sicheren Raum hat, um präsent zu sein.
Die Frische geht durch Beurteilungen verloren.
Wir verlieben uns, und später entlieben wir uns wieder, und dann verlieben wir uns wieder und entlieben uns wieder. Wie können wir Stabilität schaffen? Die Realität des Verstandes ist vollgestopft mit Geschichten, Ideen, Urteilen, Auslösern, Lebensstress, Erwartungen und Enttäuschungen - das Reich des Egos, die Hölle aller Beziehungen. Wenn der Drang zusammenzubleiben stärker ist als das Leid, das Beziehungen mit sich bringen können, können wir einen Weg finden, unsere Verbindung frisch und liebevoll zu halten.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters.
Eine große Perle einfacher Weisheit hat Platon in diesem Satz zusammengefasst. Wenn wir frisch sind, die Augen frisch sind und der Geist frisch ist, ist auch die Beziehung erfrischt. Aber wie bleiben wir frisch? Ich erinnere mich daran, wie sehr ich meinen Sohn bei seiner Geburt liebte, und in den nächsten zwei Jahren lernte ich ihn und seinen einzigartigen Charakter kennen, der von tiefer Liebe geprägt war. Als er ungefähr zwei Jahre alt war, begann sich sein Ego aufzubauen, da musste ich meines loslassen. Leider versuchte ich, ihn zu ändern, konnte viele seiner Angewohnheiten nicht akzeptieren und konnte mich nicht auf komplizierte Situationen einlassen. Ich konnte ihn nicht mehr so sehen wie früher. Meine Augen waren geschlossen. Ich sah ihn nur durch die Geschichten und Ideen meines nebligen Geistes hindurch.
Ich musste leiden
Ich musste ein paar Jahre lang leiden, um zu erkennen, dass ich so als Vater nicht weitermachen konnte, und habe mir einige Methoden und Ansätze angesehen. Sie alle konzentrierten sich
darauf, das Verhalten oder den Zustand zu ändern oder die Beziehungen zu verbessern, aber keiner von ihnen half mir, mein Herz und meine unschuldige Liebe zu meinem Sohn wiederzufinden. Die Lehre von Eckhart Tolle klärte, was zwischen mir und der Liebe zu meinem Sohn stand. Die Liebe war immer da, aber sie wurde von meinen Gedanken überlagert. Ich bin aus der Liebe in die Hölle meines egoistischen Verstandes gefallen.
Wenn der Geist ruhig ist, öffnet sich das Herz.
Wie kann ich mein Herz spüren, wenn in meinem Kopf ein Kommentator sitzt, ein kleines Wesen, das mir ständig Geschichten erzählt und Anweisungen, Kommentare, Ideen und Vorschläge gibt. Herausfordernde Situationen gibt es immer noch jeden Tag - aber wenn mein Verstand dominiert, versuche ich, bewusst eine Pause einzulegen und klar zu beobachten, mit offenen Augen und einem stillen Verstand. Wenn ich meinen Verstand zur Ruhe bringe, kann ich mit meinem Herzen sehen und nicht mit meinem Kopf.
Raum ist Freiheit.
Der Raum bzw. die Weite ermöglicht es uns, uns von der Erfahrung zu distanzieren und den Geist zu beruhigen. Wenn wir bewusst atmen bzw. uns bewusst sind, öffnen wir die innere Dimension, die uns Raum gibt. Die Kombination von Atembewusstsein und Augenwahrnehmung hilft uns zu sehen, ohne zu benennen und zu kommentieren. Ich versuche, die innere Weite so weit wie möglich auszudehnen, wenn rund um mich alle freundlich und locker sind, und dann kann ich sie nutzen, wenn herausfordernde Menschen oder Situationen auftauchen.
Auf der Tanzfläche wie auch im richtigen Leben.
Eine meiner Lieblingsanweisungen, wenn ich Conscious Dance unterrichte, lautet: „Öffne deine Augen, versuche, die Gegenstände im Raum zu betrachten, die Farben, die Formen, die Texturen, die Materialien - von Menschenhand gemacht, von der Natur gemacht - nur Zeuge sein, keine Kommentare. Versuche das Gleiche, wenn du die Menschen ansiehst, die neben dir tanzen, nur als Zeugin oder Zeuge, ohne Kommentare“.
Wenn ich die Straße auf dem Markt in der Nähe unseres Studios in Wien entlanggehe, sehe ich viele verschiedene Menschen, die mir entgegenkommen. Mein Verstand schaltet sich natürlich mit Kommentaren ein, und ich bitte ihn, keine Kommentare abzugeben, sondern nur zu bezeugen. Wenn die Urteile verschwinden, öffnen sich die Augen, das Herz beginnt zu blühen, und mein Weg wird leichter.
Ich frage mich, wie die Welt aussehen würde, wenn wir alle dies bei jedem Zusammentreffen mit anderen praktizieren würden.