„DANKE, DASS DU MICH GETRIGGERT HAST, MEINE LIEBE. ICH HOL MAL SCHNELL MEINEN NOTIZBLOCK.“
DIENSTAG, 01.03.2022 VON IDAN MEIR
Übersetzung Michael Reiterer
Dieser Satz war eine Zeit lang ein Running Gag in unserer Familie. Dennoch erwies er sich als effektive Praxis für eine erwachte Beziehung. Irgendwann waren die Trigger keine Bedrohung mehr, sondern eine Möglichkeit, zusammenzuwachsen und zu reifen.
Wir alle haben schon mal festgestellt, dass die Menschen, die wir am meisten lieben, uns am meisten provozieren. Und unsere besten Trigger sind unsere besten Lehrer. Wenn man allein in einer abgelegenen Höhle lebt, sind die Trigger vielleicht geringfügig - aber wenn man mit einem anderen Menschen und vielleicht ein paar kleinen Kindern zusammenwohnt, gehören sie fast schon zum Alltag.
Trigger sind gut für uns.
Zu Beginn unserer Beziehung beklagte sich meine Frau, dass ich sie triggern würde. Damals fühlte ich mich schrecklich und versuchte, besser aufzupassen und sensibler zu sein. Heute verstehen wir beide, dass Trigger nicht mehr nur lästige Dinge sind, die es zu überwinden gilt, sondern Hinweise auf unseren Bewusstseinszustand. Wenn man dies erkennt, werden die Trigger zu einem Werkzeug, um aufmerksam und bewusst zu bleiben und tiefer in die Präsenz einzutauchen.
Menschen triggern.
Die Erkenntnis, dass Menschen nicht dazu da sind, uns glücklich zu machen, ist bereits ein großer Schritt in Richtung einer reifen Beziehung und in gewisser Weise eine Erleichterung. Der erste Schritt zu einer gesunden Beziehung besteht darin, den Traum vom perfekten Partner, der uns ergänzt und glücklich macht, loszulassen.
Dieser romantische Idealismus wurde uns von der Gesellschaft eingepflanzt. Wenn wir ihn loslassen, können wir uns von den hohen Erwartungen befreien, die andere an uns stellen bzw. wir an sie. Sobald wir akzeptieren, dass unser*e Partner*in einen anderen Grund hat, mit uns zusammen zu sein, und dass unsere Mütter eine andere Rolle in unserem Leben spielen, können wir unser Notizbuch mit den Triggern öffnen.
Ich bin ein Mensch. Deshalb werde ich getriggert.
Wir alle leben in einem emotionalen Körper, der Schmerz in sich trägt. Eckhart Tolle nennt ihn den Schmerzkörper. In einem Schmerzkörper zu leben, ist schon eine Herausforderung für sich. Zu akzeptieren, dass Trigger zum Menschsein gehören, verwandelt Schuldgefühle, Frustration, Wut und Scham in Mitgefühl und ermöglicht mehr Sanftheit. Diejenigen, die uns triggern, sind keine Feinde mehr, denen wir die Schuld geben können, sondern Unterstützer auf unserem geistig-spirituellen Weg.
Ein Trigger ist nur ein Gedanke.
Wenn mein Sohn mit dem Löffel auf den Tisch knallt, während ich das Essen für ihn zubereite, bin ich vielleicht verärgert. Ich bemerke, dass ich getriggert wurde. „Er ist kein Baby mehr. Warum tut er das? Er sollte mit diesem Lärm aufhören.“ Das sind einige Gedanken, die mit diesem Trigger einhergehen, aber es gibt auch ein paar versteckte Geschichten dahinter. Ich kann viele Gründe finden, warum mich ein bestimmtes Verhalten triggert, aber das ist irrelevant. Es sind alles vergangene Geschichten, die ich von meiner Mutter oder Großmutter oder Hunderten von Generationen vor mir geerbt habe. Wenn ich akzeptiere, dass die Trigger nicht von mir kommen, bin ich nicht mehr für die Trigger verantwortlich. Dennoch bin ich dafür verantwortlich, wie ich darauf reagiere oder mich verhalte.
Reagieren oder antworten.
Der erste Schritt besteht darin, dass ich merke, dass ich getriggert werde. Manche Trigger bringen mich schnell zum Handeln, während sich andere langsam in mir aufbauen. Manchmal erkenne ich den Trigger erst, nachdem ich reagiert habe, manchmal vorher. Wenn ich mir dessen bewusst bin und auch nur den Beginn einer leichten Irritation bemerke, kann ich besser entscheiden, welchen Weg ich einschlagen will. Die bewusste Antwort oder die unbewusste Reaktion. Ich werde höchstwahrscheinlich den bewussten Weg wählen, wenn ich mich in einem Zustand der vollen Achtsamkeit befinde und genügend inneren Raum habe.
Stress ist nicht hilfreich.
Stress spielt eine große Rolle für unseren Bewusstseinszustand. Drei Wochen, nachdem unsere Zwillinge zu unserer Familie gestoßen waren, mussten wir in eine neue Wohnung umziehen. Für unseren dreieinhalbjährigen Sohn waren es zu diesem Zeitpunkt zu viele Veränderungen, und für uns als Eltern auch. Der allgemeine Familienstress und die Trigger waren stärker als sonst. Ich war leichter getriggert und triggerte die anderen wahrscheinlich auch.
Wenn der Stresspegel steigt, kann der Bewusstseinspegel sinken, aber nicht immer. Es gibt Menschen, die unter Stress weitgehend gut funktionieren und auch nach einigen Nächten ohne Schlaf noch voll auf der Höhe sind. In unserem Fall waren wir nach ein paar Monaten mit schlechtem Schlaf, Kisten in der ganzen Wohnung, Covid und einem Lockdown leicht reizbar.
Trigger sind wie Wasser.
Trigger sind fließend. Sie können sich ausdehnen und zusammenziehen, warm und kalt werden. Eine ärgerliche Bemerkung oder ein falsches Wort zur falschen Zeit kann sich zu einem großen Drama auswachsen. Wenn der Trigger in mir wächst, bedeutet das, dass ich mehr Präsenz benötige. Wenn der Trigger mich überrumpelt, könnte ich durchdrehen und in eine unbewusste Reaktion verfallen. Je schneller ich mir der Situation wieder bewusst werde, desto geringer ist der Schaden.
Je größer das Ego, desto größer der Trigger.
Das Ego liebt das Drama, das die Trigger hervorrufen. Sie stärken es. Je wichtiger wir unsere Gedanken nehmen, desto größer wird das Ego. Je größer wiederum das Ego ist, desto größer der Trigger. Der Verstand findet Gründe für alle möglichen Dramen, und der Körper reagiert darauf.
Emotionen bilden eine schöne chemische Suppe im Gehirn, die den ganzen Körper beeinflusst. Der immer wieder reagierende Körper gewöhnt sich an diesen Zyklus und ruft ihn immer wieder ab. Es ist ein grausamer Kreislauf, der zu einer körperlich-seelischen Abhängigkeit führen kann. Wenn wir präsent bleiben und den Frieden und die Kreativität erkennen, die darin stecken, wird diese Sucht schwächer, bis sie nicht mehr relevant ist.
Trigger in unserem Körper.
Niemand weiß, wo die Vergangenheit in unserem Körper sitzt, so wie niemand weiß, wo unsere Erinnerungen gespeichert sind. Wahrscheinlich in einer menschlichen Cloud, denn kein*e Wissenschaftler*in hat Spuren von Gedanken auf unserer Festplatte gefunden. Ich vermute, dass unsere Geschichte irgendwo in unserem Nervensystem gelandet ist, manche würden sagen, sie ist in jeder Zelle unseres Körpers gespeichert und wartet darauf, sich auszudrücken bzw. ausgedrückt zu werden.
Der Körper ist der Schlüssel.
Der Körper ist sensibel und reagiert auf Trigger, aber er hat auch den Schlüssel, um sie loszulassen. Je stärker die Geschichte ist, die der Verstand über den Trigger erzählt, je stärker die damit verbundenen Emotionen sind, je stärker der Körper erregt ist, je stärker die physische und emotionale Provokation ist, desto schneller und stärker ist die Reaktion.
Der Körper ist der Schlüssel für uns, dass wir bemerken, dass wir getriggert wurden, aber auch um unsere Präsenz zu verstärken. Bewusstes Atmen und Spüren des Körpers von innen heraus hilft, einen inneren Raum zu schaffen und den Verstand von bloßem Reagieren auf Bewusstsein zu schalten.
Herausforderungen sind gut für uns.
Herausforderungen können das Bewusstsein schärfen, aber sie können auch dazu führen, dass man sich in den Kaninchenbau zurückzieht. Wenn wir uns eingestehen, dass wir leiden, gestresst und unglücklich sind, kann dies dazu führen, dass wir nach Sinn und Erleichterung suchen. Ich verschaffe mir Linderung durch Yoga, Meditation und bewusstes Atmen. Dennoch ist es der wichtigste Schritt zu einem bewussten Leben, präsent zu bleiben, wenn man die Yogamatte oder eine Meditationssitzung verlässt.
Wenn ich meinen Sohn beobachte, wie er den Löffel auf den Tisch schlägt, versuche ich, seine Handlung ohne die Geschichte dahinter zu sehen. Auch wenn mich der Lärm vielleicht immer noch stört, aber wenn ich ihn akzeptiere, schrumpft der Trigger zusammen, ich spüre, wie mein Herz weicher wird, und ich kann sogar Frieden in dieser Situation finden. Ich kann ihn bitten, damit aufzuhören, wenn er meine Grenze überschreitet, aber auf eine freundliche, sanfte Art, die wahrscheinlich besser funktioniert als eine egoistische Reaktion, die zu Machtspielchen führt. In diesem Fall wird er das Spiel wahrscheinlich gewinnen.
Keine Notwendigkeit für ein Trigger-Notizbuch.
Wenn du deine Trigger besser kennenlernen und sie zu deinem Lebenstanz einladen möchtest, kannst du sie aufschreiben. Sie werden sich vielleicht wiederholen und in verschiedenen Formen auftauchen. Es könnte helfen, freundlicher mit ihnen umzugehen und sie zu erkennen. Es könnte auch helfen, den Triggern einen lustigen Namen zu geben. Egal wohin ich gehe, habe ich Frau Kritiker, Herrn Richter und mich selbst bei mir. Ich habe auch Vorwürflein bei mir! Aber ihre Stimmen verlieren immer mehr an Kraft, je mehr ich mein inneres Bewusstsein entwickle. Je mehr man sie ans Licht bringt, desto mehr werden sie eingeschüchtert und lösen sich auf. Denk einfach dran, dass du sie nicht zu persönlich nimmst. Sie gehören dir nicht.
Deshalb haben wir heute in unserer Familie keine Trigger-Notizbücher mehr. Wir ziehen es vor, ihnen nicht mehr Raum zu geben oder sie mit unserer Aufmerksamkeit zu nähren. Wir versuchen, sie zu akzeptieren, sie anzunehmen, ihnen zu erlauben, unsere Lehrer zu sein, wenn es nötig ist, und uns den Weg zum bewussten Gewahrsein und zu unserem Ziel der erwachten Beziehung zu weisen.